15. November 2023

Klimaschutz transparent kommunizieren

In den vergangenen Monaten standen verschiedene Schweizer Unternehmen im Fokus der Öffentlichkeit, weil ihnen vorgeworfen wurde, ihre Klimaschutz­versprechen hätten nicht Hand und Fuss und würden die Konsument:innen in die Irre führen. Dieser Beitrag geht der Frage nach, was Unternehmen und Organisationen beachten sollten, wenn sie über ihr Engagement im Bereich Klima kommunizieren und dabei in Erwägung ziehen, Begriffe wie Netto-Null, klimaneutral und Kompensation zu nutzen.

Abbildung mit Lupe

Im Grunde genommen ist es einfach: Soll eine dramatische Klimakrise verhindert werden, dürfen über kurz oder lang der Atmosphäre unter dem Strich keine Treibhausgase mehr zugeführt werden. Diese Idee, dass der Atmosphäre in Zukunft nur noch genau so viel Treibhausgase zugeführt werden dürfen, wie ihr wieder entnommen werden können, trägt den Namen Netto-Null und ist auf das Übereinkommen von Paris zurückzuführen.

 

Manchmal wird statt von Netto-Null auch von Klimaneutralität gesprochen, zum Beispiel in diesem Beitrag vom BAFU zum Klima- und Innovationsgesetz, das die Schweizer Stimmbevölkerung am 18. Juni 2023 angenommen hat. Das BAFU schreibt: «Dieses Netto-Null-Ziel wird oft auch als Klimaneutralität bezeichnet.»

 

Spätestens hier wird es aber etwas komplizierter, und dies gleich aus verschiedenen Gründen.

 

Klimaneutralität versus Treibhausgasneutralität

Zum einen wird der Begriff Klimaneutralität oft in Fällen verwendet, wo eigentlich Treibhausgasneutralität gemeint wäre. Klimaneutralität beim Wort genommen umfasst mehr als Treibhausgasneutralität, eigentlich müsste alles berücksichtigt werden, das in irgendeiner Weise einen Einfluss auf das Klima übt, beispielsweise auch klimawirksame Veränderungen von Böden und Oberflächen.

 

Uneindeutige Begriffsverwendungen

Zum anderen werden die Begriffe Netto-Null und Klimaneutralität uneindeutig verwendet. Unterschiede gibt es grundsätzlich in Bezug auf zwei Aspekte: den Geltungsbereich und die Art der Zertifikate resp. vorgesehenen Lösung, Treibhausgase der Atmosphäre wieder zu entnehmen, damit rechnerisch am Ende eine Null resultiert.

Weil eine uneindeutige Verwendung entsprechender Begriffe es erschwert, klare, gemeinsame Ziele zu formulieren, denkt der IPCC gemäss diesem Beitrag darüber nach, den Begriff klimaneutral nicht mehr zu verwenden.

 

Geht es nur um ein Produkt oder gleich um die ganze Lieferkette?

Was den Geltungsbereich betrifft, stellen sich unter anderem folgende Fragen:

  • Ist es angebracht, ein einzelnes Produkt oder eine einzelne Dienstleistung als klimaneutral zu bezeichnen?
  • Ist es angebracht, wenn ein Unternehmen von sich behauptet, netto null Emissionen anzustreben, dabei allerdings nur den eigenen Betrieb, nicht aber die Wertschöpfungskette berücksichtigt?

 

Zertifikat ist nicht gleich Zertifikat

Und, was die nicht eliminierbaren sogenannten Restemissionen betrifft, gibt es unterschiedliche Ansichten, welche Art der Zertifikate zulässig sein soll:

  • Müssen zwingend die viel teureren Senkenzertifikate gekauft werden, die dafür stehen, das CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernt wird? (Senkenzertifikate werden oft auch als Removals oder CO2-Entnahme-Zertifikate bezeichnet.)
  • Oder reicht es, Klimaschutzzertifikate zu kaufen, die dafür stehen, dass in Klimaschutzprojekte investiert wird? (Klimaschutzzertifikate sind auch unter den Namen CO2-Zertifikate oder CO2-Vermeidungs-Zertifikate bekannt.)

 

Kompensationen in der Kritik

Zum Beispiel Galaxus: Der Onlinehändler bietet seinen Kund:innen an, die CO2-Emissionen des Einkaufs zu «kompensieren» (siehe Screenshot).

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Wer dem angebotenen Link folgt, erfährt, dass die «Reduktion der Treibhausgasemissionen» mit South Pole erfolge und das Wording wird vorsichtiger, Galaxus schreibt im Fenster, das nun aufpoppt, man möchte den Kund:innen ermöglichen, die entstandenen CO2-Emissionen «auszugleichen» und so einen «Beitrag zum Klimaschutz» zu leisten. Und wer noch weiterliest, erfährt, dass dieser Ausgleich als «CO2-Kompensation» bezeichnet werde.

 

Galaxus leistet damit gewissermassen einen Spagat: Das Versprechen der «Klimakompensation» im Warenkorb ist zwar irreführend und kein Beispiel für transparente Kommunikation, aber immerhin haben Kund:innen die Möglichkeit, sich genauer zu informieren und zu erfahren, was gemeint ist mit der Klimakompensation.

 

Myclimate, ein weiterer Schweizer Anbieter von CO2-Zertifikaten, spricht bereits seit Ende 2022 nicht mehr von «Klimaneutralität» und «Kompensation»: «Anstelle dessen sprechen wir heute zum Beispiel davon, dass Unternehmen einen Klimaschutzbeitrag an ein Projekt leisten, dass sie ein Investment in ein Klimaschutzprojekt machen oder dass sie ein Klimaschutzprojekt finanzieren», wie Geschäftsführerin Kathrin Dellantonio dem SRF erklärt.

 

Empfehlungen für die Praxis

Dass zahlreiche Unternehmen unter wenig strengen Voraussetzungen von «Klimaneutralität», «Klimakompensation» oder gar von «Netto-Null» sprechen, führt dazu, dass diese Begriffe in der Öffentlichkeit an Glaubwürdigkeit verlieren. Davon sind alle betroffen – egal, welche Kommunikationsstrategie sie für sich gewählt haben.

 

Polarstern sieht zwei Lösungsansätze:

  • Erstens kann ein Unternehmen die Begriffe für sich selbst streng auslegen und zum Beispiel nur dann von Netto-Null oder Klimaneutralität sprechen, wenn nicht eliminierbare Restemissionen mittels Senkenzertifikaten ausgeglichen werden.
  • Zweitens kann ein Unternehmen diese Begriffe vermeiden und auf alternative, ggf. konkretere Formulierungen ausweichen. Beispielsweise kann ein Unternehmen schreiben: «Wir beheizen unsere Gebäude fossilfrei.» Anstatt: «Wir beheizen unsere Gebäude klimaneutral.» Oder, analog Myclimate: «Wir investieren in Klimaschutzprojekte.» Anstatt: «Wir kompensieren unsere CO2-Emissionen.»

 

Weil Begriffe rund um Klimaneutralität allerdings bei vielen absenderunabhängig Misstrauen wecken dürften, funktioniert die erste Strategie nur bedingt: eigentlich nur dann, wenn an Ort und Stelle erklärt wird, was genau gemeint ist. Es reicht nicht, zu schreiben: «Wir werden klimaneutral.» Stattdessen wäre zu schreiben: «Wir werden entlang der gesamten Wertschöpfungskette klimaneutral, in dem wir unsere Emissionen um über 90 Prozent reduzieren und die nicht vermeidbaren Restemissionen mittels Senkenzertifikaten neutralisieren.»

Solche Formulierungen sind allerdings umständlich und allein schon aus Platzgründen nicht überall umsetzbar, weshalb sich dann, je nach Kontext, auch Verlinkungen eignen können oder nochmals angepasste Strategien.

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